Künstlerinitiative Kunst am Balkon

2014 - Kunst auf`m Campingplatz I

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Sabine Fessler - Inside the white tent

Fotos: Anne Schubert

Nachdem die Künstlerinitiative vor zwei Jahren zu einer Kunstaktion auf dem heimatlichen Balkon eingeladen hatte, ...


wurde dieses Jahr ein Stipendium mit dem Thema „Kunst auf dem Campingplatz“ ausgeschrieben. Die Idee war, dass das 24-stündige Stipendium zum Künstler kommt: Ein Campingplatz in Wohnortnähe des Stipendiaten sollte zum Ort des Kunstgeschehens werden.

Aufgrund der Vielzahl an qualitativ hochwertigen Bewerbungen wurden dieses Jahr zwei Stipendiaten ausgewählt: Thomas Prautsch aus Münster und Sabine Fessler aus Stuttgart.


„Inside the white tent“ heißt die Arbeit der Preisträgerin Sabine Fessler, die im August 2014 auf einem familiären Campingplatz in schönster Natur des Stuttgarter Hinterlandes realisiert wurde. Für den Stipendiumsaufenthalt hatte Sabine Fessler ein weißes Stoffzelt genäht, welches sie nach strategischen Gesichtspunkten auf dem Campingplatz errichtete. Zentral im Zeltinnenraum installierte sie eine Lampe, die das Zelt hell erleuchtete. Fesslers Idee war die Sichtbarmachung von Bewegungen und Abläufen im Zeltinneren. Dazu hatte die Künstlerin eine Übernachtung im erleuchteten Zelt geplant. Zusätzlich zu ihrem geplanten Konzept begeisterte die Künstlerin mit einer spontanen Performance, die abends dialogisch mit dem Publikum stattfand.


Zu Beginn wurden alle Zelte der angereisten Initiative und Besucher rund um das weiße Zelt aufgebaut. Beim gemeinsamen Grillen entstand ein reger Austausch über Kunst-Projekte, Stipendien sowie über die Kunstszene der verschiedenen Regionen Süddeutschland, Münsterland, Bergisches Land und Ruhrgebiet. Im Gespräch entwickelte Fessler spontan ihre Idee für die Performance. Nach Einbruch der Dunkelheit verschwand sie im erleuchteten Zelt. Von dort war nur ihre Stimme zu hören und je nach Position auch ihre Silhouette zu sehen. Sie hielt Gegenstände von innen an die Zeltwand, welche das Publikum erraten konnte: „Was benötigen wir zum Campen?“ Die Gegenstände wirkten schattenhaft und erzeugten je nach Farbe ein buntes Lichtspiel hinter dem weißen Zeltstoff. Es kamen eine lange Hose, Unterhose, eine Socke, ein orange durchscheinender Schirm, eine Trillerpfeife, eine Zahnbürste, Deo, Klebeband, Zeltheringe und Nahrungsmittel wie Äpfel und Paprika zum Vorschein. Waren es zu Beginn der Performance noch reale Gegenstände, die präsentiert wurden, kamen später aus rotem Papier geschnittene Objekte zum Einsatz. Es entstanden außergewöhnliche Bilder, beispielsweise ein scherenschnittartiges Portrait vom Großvater der Künstlerin, eine Wurst, die durch eine richtige Einschneidetechnik zu einer Palme transformiert werden konnte und ein Fisch, der einen weiteren Fisch in sich trug. Die Aktion bekam so eine faszinierende Dramaturgie: Es vollzog sich eine Entwicklung von der Wahrnehmung realer, leicht erkennbarer Alltagsgegenstände hin zur freien Assoziation über originelle Objekte. Diese Bilder gaben Anlass für zahlreiche Ideen, Imaginationen und Fantasie –  ein beeindruckendes Erlebnis  für das Publikum. Schon das Camping-Equipment erfuhr durch das Licht und die Zeltwand eine Verfremdung, doch durch den Wechsel zu den farbigen Scherenschnitten wurde die Aktion aus Bild, Sprache und Handlung immer fantastischer.


Nach der Performance blieb das von der Künstlerin bewohnte Zelt die ganze Nacht hindurch weit über den Campingplatz hell leuchtend sichtbar. Fessler hat mit ihrem Zeltobjekt und ihrer Performance verdeutlicht, dass das Zelt beim Campen zwar eine private Wohnstätte ist, jedoch alles, was im Innern passiert, von außen akustisch und bei Dunkelheit mit Innenbeleuchtung auch optisch gut wahrnehmbar wird. Mit dem weißen Zelt setzte sie für eine Nacht eine eindrucksvoll illuminierte Skulptur in die Natur des Campingplatzes und belebte es durch ihre menschliche Präsenz. Ihre Performance wurde eine Bilderreise mit faszinierenden Licht- und Schatteneffekten.


Der zweite Preisträger, Thomas Prautsch, wird sein Stipendium im Frühjahr 2015 auf einem Campingplatz im Münsterland absolvieren.


Auch wenn die finanzielle Vergütung der Stipendiaten nur symbolisch ist, bietet dieses Stipendium umso mehr ein persönliches Engagement und kollegiale Herzlichkeit. Es ist für Bildende KünstlerInnen ein gutes Forum zum Experimentieren und um eigene Kunstprojekte über die Idee hinaus an einem ungewöhnlichen Ort zu realisieren. Über das Stipendium wird es von der Initiative durch finanzielle Unterstützung von Freunden zu einem späteren Zeitpunkt eine Dokumentation geben.