Künstlerinitiative Kunst am Balkon

2012 - Kunst am Balkon

Starke Einschränkungen des Bewerberkreises, extreme Anforderungen an die Bewerber, ...


umfangreiches Bewerbungsmaterial ohne Erstattung der Kosten auf der einen Seite, dafür kaum Gegenleistungen auf der anderen Seite: vereinbarte Honorare werden im Nachhinein gekürzt, beim Ankauf von Arbeiten wird gefeilscht, der Stipendiat wohnt in unzumutbaren Verhältnissen, niemand kümmert sich. Wohl jeder Künstler, der seinen Lebensunterhalt auch über Stipendien bestreiten muss, hat so etwa schon erlebt. Zwar gibt es sehr viele seriöse Ausschreibungen, unseriöse sind jedoch keineswegs eine Ausnahmeerscheinung.


Die münsteraner Künstlerinitiative Kunst am Balkon nahm dies zum Anlass, das schlechteste Stipendium von allen auszuschreiben – das Stipendium Kunst am Balkon: ein 24-stündiger Arbeitsaufenthalt auf einem Balkon in der Westfalen-Metropole Münster, dotiert mit 50,- Euro. Was ursprünglich aus einer Bierlaune entstand und als ironischer Kommentar auf die gängige Ausschreibungspraxis gedacht war, entwickelte  sich schließlich –  auch dank der Stipendiatin Antoanetta Marinov – doch zu einem seriösen Projekt.


Ursprünglich wollten wir mit unserer Ausschreibung lediglich...


auf die bisweilen miesen Stipendiumsbedingungen aufmerksam machen, mit denen man als Künstler konfrontiert wird. Entsprechend überspitzt haben wir unsere Ausschreibung auch formuliert. Um die Idee, Kunst in den privaten Raum zu holen und anschließend wieder (einem Teil) der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ging es uns zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht.


Bei Veröffentlichung der Ausschreibung hatten wir denn auch noch keine Vorstellung, welche Resonanz wir zu erwarten hatten – ob wir überhaupt eine Rückmeldung bekommen würden. Die Reaktionen, die wir bekamen, reichten von verstörten Rückfragen zur Höhe des Honorars bis zu Bewerbungen, die mindestens so ironisch formuliert waren wie unsere Ausschreibung selbst. Aber vor allem gab es auch viele Bewerber, die sich mit beachtlichen künstlerischen Projekten empfohlen haben. Eine von ihnen war Antoanetta Marinov, die wir schließlich in unserer Jury-Sitzung als 1. Stipendiatin des KaB-Stipendiums ausgewählt haben.


Erst durch die Zusammenarbeit mit Antoanetta in den Wochen nach der Vergabe des Stipendiums hat sich die Aktion dann in eine völlig andere Richtung entwickelt: Auf einmal stand die Kunst im Mittelpunkt. Wir hatten plötzlich eine Vernissage mit geladenen Gästen organisiert sowie drei weitere Eröffnungstage, an denen die Ausstellung für Besucher offenstand. Die Arbeiten, die Antoanetta gezeigt hat, haben sich wunderbar in den Kontext unseres Projektes eingefügt,  so dass am Ende eine tolle Ausstellung stand.

Künstlerinitiative Kunst am Balkon, Münster im August 2012

 

Die Idee, selbst ein Stipendium auszuschreiben und dieses auf dem heimatlichen Balkon anzubieten ...


fand ich von Anfang an sehr spannend. Eine Ausstellung in so einem privaten Rahmen zu veranstalten mit Kaffee und Kuchen im privaten Wohnzimmer, ist durchaus gewagt. Die Gefahr in private Beliebigkeit zu geraten und die Ernsthaftigkeit für die Kunst aus den Augen zu verlieren ist zumindest gegeben. Dem war nicht so.


Marinovs künstlerische Arbeit erstreckte sich von einem Film im Wohnzimmer über den Balkon bis hin in die Abstellkammer für Gartenmöbel. Antoanettas Text zu ihrer Arbeit schlicht an die Ziegelsteinwand tapeziert, im Gang des Balkons die Schale mit Mandarinen zum Werfen und am Ende des Balkons ein Portrait von Antoanetta als Foto an die Wand tapeziert. Das Foto zeigt Antoanetta, wie sie am Tag zuvor im Abendlicht mit der ersten zu werfenden Mandarine an der Brüstung steht. In der Abstellkammer hängen an eine Wäscheleine geklammert in Pergamentpapier verpackte limitierte Zauberstäbe, kleine Äste der Umgebung.

Von der Ausstellung als Gesamtheit geht eine große Magie aus, der es nur schwer ist, sich zu entziehen. Dann die Brechung im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen zu sitzen und im Fernseher drei Menschen hintereinander durch den Wald gehen zu sehen mit dem Ausruf „Ich habe Hunger“. Dieses Erleben in einer heimatlichen Wohnzimmeratmosphäre erinnert an abendliches Nachrichten schauen beim gemütlichen Abendbrot und stellt dieses gleichzeitig in Frage.


Die Sensibilität, wie Marinov ihre Arbeit inszeniert, das erfrischende kollektive Mandarinenwerfen vom Balkon mit den verschiedensten Wurftechniken und Richtungen lässt bei mir alte persönliche Erinnerungen der Bundesjugendspiele wieder hochkommen. Damals fanden meine Bälle leider immer nur einen kurzen Weg. Meine Mandarine werfe ich ungelenk in den Apfelbaum und versenke unter der Erheiterung der anderen einige Äpfel auf dem Rasen.


Das gemeinsame Wurfritual wird zu einem Versprechen für das Leben, in das wir nach so einem schönen Nachmittag wieder mit mehr Mut und Hoffnung zurückkehren.

Sylvie Hauptvogel, Münster im August 2012

 

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Antoanetta Marinov - A lancirare mandarini, non so